Wozu ein offener Brief?
Wozu der Offene Brief an die Landesregierung Nordrhein-Westfalen?
Aufklärung der Öffentlichkeit über eine massive Gefährdung einer tragenden Säule staatlicher Daseinsvorsorge dringend
Zerschlagung der flächendeckenden Krankenhausinfrastruktur geplant
Mitte Juli 2019 hat die Kampagne zum radikalen Umbau der Krankenhausinfrastruktur in Deutschland Fahrt aufgenommen. 2016 forderte zunächst eine kleine Gruppe von wissenschaftlichen Politikberatern der Nationalen Akademie der Wissenschaften, Leopoldina (darunter Prof. Reinhard Busse, Fachgebiet Management im Gesundheitswesen, Technische Universität Berlin), den in Dänemark eingeleiteten Strukturwandel der stationären Versorgung bis zum Jahr 2025 mit Schaffung von wenigen „Superkrankenhäusern“ auch in Deutschland durchzusetzen, d.h. bis auf 330 Krankenhäuser alle anderen in absehbarer Zeit zu schließen. Nur so sei die Qualität der Krankenhausversorgung zu verbessern.
Im Juli 2019 veröffentlichte die einflussreiche Bertelsmann-Stiftung ihre Studie „Zukunftsfähige Krankenhausversorgung“, die die Schließung von 800 der gegenwärtig etwa 1400 Plan-Krankenhäuser vorschlug und erneut zum Medienthema machte.
Im September 2019 stellte die Landesregierung von NRW ein von ihr in Auftrag gegebenes Gutachten zur Krankhausstruktur vor. Die beauftragten Gutachter (darunter wiederum das Institut von Prof. Busse an der TU Berlin) empfehlen u.a. den „Entzug des Versorgungsauftrags für bestimmte Krankenhäuser, die die Qualitätsvorgaben missachtet haben, als Sanktionsmaßnahme….“.Anfang Oktober 2019 verschickten die NRW Bezirksregierungen Ausschreibungs-Unterlagen an alle Krankenhäuser in NRW zur Teilnahme an einem großen Feldversuch zur Neuordnung der Krankenhauslandschaft (Zusammenlegungen oder Schließungen) in Planungsschritten von insgesamt nur 13 Monaten. Diese Ziele stehen eindeutig im Widerspruch zum ermittelten stationären Versorgungsbedarf und 2017 umgesetzten Krankenhausplan NRW.
Recht auf gleichberechtigten Zugang zum solidarisch finanzierten Gesundheitssystem
Die Schaffung von wenigen Superkrankenhäusern ist mit dem grundgesetzlich garantierten Anspruch der Bürger auf eine zweckmäßige und ausreichende medizinische Versorgung für die gesamte Bevölkerung nicht vereinbar.
Die Bundesgesetzgebung hat die Krankenhausversorgung der Bevölkerung als bedeutsame Aufgabe im System der öffentlichen Daseinsvorsorge staatlich abgesichert: Zum einen mit dem durch Bedarfsermittlung der Landesverwaltung erfolgten Feststellungsbescheid für teilnehmende Krankenhäuser im Landeskrankenhausplan. Zum anderen mit der Pflicht, den auf der Basis der Bedarfsermittlung ermittelten Investitionsbedarf in der Haushalts-planung anzumelden und entsprechend zu finanzieren.
Krankenhausversorgung schrittweise dem Zugriff von Marktinteressen ausgesetzt
Das eingeführte Vergütungssystem nach Fallpauschalen (DRG) mit seinen vielen Fehlanreizen hat zur Folge, dass diejenigen Krankenhäuser am erfolgreichsten sind, die in der Lage sind, möglichst teure und planbare Prozeduren und Operationen(= „lukrative Fälle“) in möglichst kurzer Zeit mit möglichst wenig Personal zu behandeln. Dieses Abrechnungsverfahren verursacht große Kostenrisiken für andere Krankenhäuser, die aufgrund ihres Auftrags zur Daseinsvorsorge zum einen keine „lukrativen Fälle“ auswählen, sondern alle Patientinnen und Patienten behandeln und Rund-um die Uhr Kapazitäten für Notfälle und andere nicht planbare medizinische Versorgungsereignisse wie z.B. Geburten vorhalten. Zum anderen entstehen Defizite, weil kostenintensive Leistungen, die vom Krankenhaus erbracht werden müssen, oftmals nicht von den Krankenkassen rückerstattet werden. Der medizinische Dienst der Krankenkassen entscheidet bei den abgerechneten DRGs anhand von Stichproben und Aktenlage, ob er die Codierung für fehlerhaft (d.h. für „Upgrading“) hält und damit nachträglich nicht anerkennt.
So sehen sich viele Krankenhäuser einer zunehmenden Unterfinanzierung durch ausbleibende Investitionsmittel der Länder und dem fehlgesteuerten DRG-System ausgesetzt. Diese finanziellen Defizite mit mangelnder Qualität gleichzusetzen, ist ein grundlegendes Problem des von Beraterfirmen verfassten Gutachten. Insbesondere die im September 2019 vorgelegten Berechnungen und Handlungsempfehlungen für NRW werfen viele Fragen auf.
Offener Brief – Prüfauftrag
Eine sorgfältige Analyse der gegenwärtigen Situation der Krankenhäuser in NRW wurde im Gutachten unterlassen. Stattdessen wurde eine Vielzahl von Annahmen aus der der Öffentlichkeit präsentierten Vision der Bertelsmann-Stiftung von einer „neuen Epoche der Krankenhauslandschaft in Deutschland“ ungeprüft übernommen.
Die vorgebrachte Argumentation, dass eine „Neugestaltung der Krankenhauslandschaft“ zu positiven wirtschaftlichen Erträgen der Krankenhausbetreiber bei gleichzeitiger qualitativer Verbesserung der stationären Gesundheitsversorgung für alle Bürger führt, ist wenig glaubwürdig und zu hinterfragen.
Aus diesem Anlass hat die Initiative Regionale Krankenhausinfrastruktur erhalten – MediconValley NEIN DANKE! einen offenen Brief an die Landesregierung in NRW verfasst.
Darin wird die Landesregierung aufgefordert, eine erneute Untersuchung der Daten durch unabhängige Fachleute (Ärzte, Ärztinnen, EpidemiologInnen oder andere Experten aus dem Bereich Öffentliche Gesundheit) in Auftrag zu geben, die transparent machen soll, wie die verschiedenen Krankenhäuser (unterteilt nach Trägerformen) DRG-Leistungsgruppen bei den Krankenkassen abrechnen (InEK Datensatz) und welche Erstattungen ihnen dafür zustehen würden. Damit soll geprüft werden, ob es einen Zusammenhang zwischen abgerechneten DRG-Leistungsgruppen und Ertragssituation der Krankenhäuser gibt und ob die Häufigkeit bestimmter DRG-Leistungsgruppen in Zusammenhang steht mit der Trägerform der Krankenhäuser (kommunal, kirchlich/gemeinnützig oder privat) und bei welchen Leistungsgruppen insbesondere eine Überversorgung erkennbar ist.
Weitere Informationen in den Medien
Ein informativer Beitrag zu dieser Entwicklung wurde z.B. auf heise.de veröffentlicht:
Fresenius statt Daimler
Sozialstaats-Kolonialismus als Hintergrund der Bertelsmann-Antikrankenhaus-Studie
Motivation für die radikale Umstrukturierung? Vielleicht hier zu finden:
Die Zukunft hat schon begonnen
Superkrankenhäuser: Dänemark investiert 5,6 Mrd. Euro und setzt für sein Gesundheitssystem auf modernste Technik