Offener Brief
An die Landesregierung NRW
Prüfauftrag statt Fonds für Krankenhausschließungen in Nordrhein-Westfalen
Kostenerstattung von Versorgungsleistung nach verschiedenen Krankenhaus-Trägergruppen offenlegen!
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Laschet,
sehr geehrter Herr Minister Laumann,
nach Artikel 11 „Recht auf Schutz der Gesundheit“ der Europäischen Sozialcharta 1,
die von der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1965 ratifiziert wurde, hat
„Jedermann das Recht, alle Maßnahmen in Anspruch zu nehmen, die es ihm ermöglichen,
sich des besten Gesundheitszustandes zu erfreuen, den er erreichen kann“.
Dieses Recht eröffnet einen Anspruch aller Bürger auf Zugang zur bestehenden und durch Gelder der Sozialversicherungen und weiterer öffentlicher Mittel geförderten und im Sozialgesetzbuch verankerten Infrastruktur der Gesundheitsversorgung in Deutschland. Die vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW am 01.10.2019 an alle Krankenhäuser des Landes versendeten Ausschreibungsunterlagen zu tiefgreifenden Strukturveränderungen in der Krankenhauslandschaft NRW bedeuten, dass wir an der Wahrnehmung unseres in Europa garantierten Menschenrechts auf gleichberechtigten Schutz der Gesundheit gehindert werden sollen. Eine rein marktwirtschaftlich gestaltete Versorgung, wie sie das aktuelle von der Landesregierung vorgelegte Gutachten und der neu eingerichtete Fonds zur Umstrukturierung der Krankenhauslandschaft in NRW 2 implizieren, wird alle Bereiche der Gesundheitsversorgung, die nicht „lukrativ“ sind, kurz- oder längerfristig eliminieren und damit eine unter Umständen lebensbedrohliche Diskriminierung von Menschen mit „defizitären“ Erkrankungen und von großen Teilen der Wohnbevölkerung in Gebieten, deren Krankenhäuser geschlossen wurden, zwangsläufig nach sich ziehen.
Eine solch radikale Umstrukturierung der Krankenhauslandschaft, wie sie das vom Gesundheitsministerium NRW in Auftrag gegebene Gutachten 3 befürwortet, ist mit geltendem EU-Recht unvereinbar und wird von der Mehrheit der Deutschen 4 abgelehnt. Die vorgebrachte Argumentation, dass eine „Neugestaltung der Krankenhauslandschaft“ zu positiven wirtschaftlichen Erträgen der Krankenhausbetreiber bei gleichzeitiger qualitativer Verbesserung der stationären Gesundheitsversorgung für alle Bürger führt, ist zu hinterfragen.
Ebenso bleibt die These, dass Fallaufkommen und Leistungen bis weit in die Zukunft planbar seien, unbewiesen.
Plausibel ist, dass Planbarkeit weitgehend, aber keineswegs immer, auf elektive Behandlungen und nicht-akute Krankheitsereignisse zutrifft. Selbst bei elektiven (ausgewählten) Eingriffen und Behandlungsanlässen aber sind individuelle Verläufe und Situationen kaum mehr vorhersehbar als bei akuten Krankheitsfällen. Gleiches gilt für plötzliche Veränderungen des Gesundheitsstatus einer Bevölkerung in einer umschriebenen Region (z.B. durch Unfälle, Katastrophen, Epidemien, etc.) auf den sich der Versorgungsauftrag eines Krankhauses in Deutschland, hier nach KHGG NRW, ebenfalls bezieht.
Eine sorgfältige Analyse der gegenwärtigen Situation der Krankenhäuser wurde im Gutachten unterlassen, stattdessen eine Vielzahl von Annahmen aus der kürzlich der Öffentlichkeit präsentierten Vision der Bertelsmann-Stiftung von einer „neuen Epoche der Krankenhauslandschaft in Deutschland“ 5 ungeprüft übernommen. Daher fordern wir die Landesregierung NRW auf, zunächst Mittel des Strukturfonds darauf zu verwenden, die im Gutachten vorgelegten Daten zur tatsächlichen aktuellen Situation der Krankenhäuser in NRW objektivierbar zu überprüfen.
Wir fordern die Landesregierung Nordrhein-Westfalens auf,
umgehend eine Untersuchung durch unabhängige Fachleute (Ärzte, Ärztinnen, EpidemiologInnen oder andere Experten aus dem Bereich Öffentliche Gesundheit) in Auftrag zu geben, die überprüfen soll, wie der gesetzliche Auftrag der Krankenhäuser zur Daseinsvorsorge in den verschiedenen Trägerformen (öffentlich/kommunal, freigemeinnützig, kirchlich und privat) umgesetzt wird. Kernfrage: Gibt es zwischen den unterschiedlichen Trägergruppen Diskrepanzen bezüglich der Verteilung lukrativer Fallpauschalen (DRG-Gruppen)?
Im Einzelnen sind zu untersuchen:
Der InEK Datensatz nach Trägerformen
Grundlage der im Gutachten vorgelegten Ist-Analyse der Krankenhauslandschaft und Projektionen bis 2032 sind u.a. Fallzahlen, Verweildauern, Case-Mix Indices und Bettenanzahlen, die den landesbezogenen Daten gemäß §21 Abs.3 KHEntgG (InEK Daten) entnommen und mit Daten aus den Feststellungsbescheiden zu Bettenanzahl und Informationen zum Standort ergänzt wurden.
Die bekannte systemimmanente Anfälligkeit des DRG-Systems für Fehler oder Manipulationen bei der Codierung zur Berechnung des Case Mix Index, aber auch für Mengenausweitungen zwecks Erreichung hoher Fallzahlen bei lukrativen DRG Gruppen, blieb von den Gutachtern unberücksichtigt. Die Daten wurden nicht weiter aufgeschlüsselt (stratifiziert), um solche Verzerrungen aufzudecken, sondern nur in der Gesamtheit aller Krankenhäuser zur Beschreibung der Versorgungssituation und projizierten Bedarfe in der jeweiligen Versorgungsregion dargestellt.
Problem: Das Vorkommen und die Versorgungsrelevanz von kostenintensiven, vollständig vergüteten DRGs in den Leistungsgruppen werden potentiell überschätzt. Hingegen wird die Versorgungsrelevanz kostenintensiver, aber für die Häuser gar nicht abrechenbarer bzw. defizitärer DRGs in den Leistungsgruppen unterschätzt, da diese in der InEK Datei unterrepräsentiert sind. Um die Effekte der potentiellen Verzerrungen und ihre Auswirkungen auf die Beschreibung der tatsächlichen Versorgungsrealität genauer zu untersuchen, bedarf es der Stratifizierung des InEK Datensatzes nach Trägergruppen (privat, fgn/kirchlich, öffentlich) insbesondere für die Berechnungen der Kennzahlen in den jeweiligen Trägerformen für Leistungsgruppen-bezogene DRGs, Fallzahlen, Verweildauern, CMI, effCMi, Bettenanzahlen etc.
Die Kostenerstattungen der Krankenkassen an die Krankenhäuser für erbrachte DRG-Leistungsgruppen nach Trägerform
Ein Vergleich der InEK Daten mit den von den Krankenhäusern offen zu legenden Kostenerstattungen für erbrachte DRGs, getrennt nach DRG-Leistungsgruppen ist für die Untersuchung der Ist-Situation der Krankhäuser ebenfalls notwendig. Hierzu wird die Landesregierung aufgefordert, die Abrechnungsdaten der Krankenhäuser aus dem InEK-Datensatz mit den daraus in den unterschiedlichen Trägerformen erzielten Erlösen für die im Gutachten aufgeführten DRG Leistungsgruppen miteinander zu vergleichen. Möglicherweise sind unterschiedliche Kostenerstattungen für gleiche DRG-LG je Trägerform eine weitere Ursache für die beobachtete Heterogenität bei der Profitabilität von Krankenhäusern, die von den Gutachtern nicht untersucht wurde.
Offenlegung der Ergebnisse
Die Ergebnisse des Prüfauftrags müssen für die Information der Öffentlichkeit und der politischen Entscheidungsträger auf kommunaler Ebene sowie in Land und Bund vollständig offengelegt werden. Wir fordern Sie auf, den Prüfauftrag binnen eines Monats nach Überreichen dieses Offenen Briefes zu erteilen.
Fußnoten
1 https://www.sozialcharta.eu/europaeische-sozialcharta-9326
2 Langversion Gutachten Krankenhausplanung:
https://www.mags.nrw/sites/default/files/asset/document/gutachten_lang_krankenhauslandschaft_nrw_stand_05.09.2019.pdf
3 https://www.mags.nrw/sites/default/files/asset/document/pressemappe_mags_krankenhausgutachten.pdf
4 Die Mehrheit der Deutschen misst dem Zugang und der Erreichbarkeit von stationärer Versorgung wohnortnah für jeden Bürger einen sehr hohen Wert zu
( MLP –Gesundheitsreport 2019: https://mlp-se.de/redaktion/mlp-se-de/gesundheitsreport-microsite/2019/report/mlp-gesundheitsreport-2019.pdf).
5 https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/zukunftsfaehige-krankenhausversorgung
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