Vorstandsklausurtagung am 20./21.01.2020 in Aachen
Wie steht es im Flächenland NRW mit der stationären medizinischen Versorgung in der Fläche?
Sehr geehrter Herr Landrat Hendele,
sehr geehrte Vorstandsmitglieder des Landkreistages,
Pressemitteilungen vom 07.01. 2020 zufolge soll laut Ministerpräsident Armin Laschet demnächst noch in 30 Minuten ein Krankenhaus zu erreichen sein. Selbst das wäre in Akut- und Notfällen zu spät.1
Die Bundesgesetzgebung hat die Krankenhausversorgung der Bevölkerung als bedeutsame Aufgabe im System der öffentlichen Daseinsvorsorge staatlich abgesichert. Es besteht eine verfassungsrechtliche und gesetzliche Gewährleistungsverantwortung für die stationäre Gesundheitsversorgung im Sinne geschützter Gemeinwohlbelange. Ebenso wie Feuerwehr, Rettungsdienst, Schulen, öffentlicher Nahverkehr, Pflegeplanung, Wasser-, Abwasser-, Energie-versorgung u.a. gehört die stationäre medizinische Versorgung zu einer für ein menschliches Dasein notwendigen Infrastruktur. Die seit langem zurückgehenden Finanzmittel der Länder für dringend benötigte Krankenhaus-Investitionen sind in NRW im Bundesvergleich besonders drastisch gesunken – mit katastrophalen Folgen für die kommunalen Haushalte, die als Ausfallbürgen eintreten müssen, um die Krankenhäuser entsprechend dem gesetzlichen Auftrag zu erhalten.
Gleichzeitig sehen sich viele Krankenhäuser einer zunehmenden Unterfinanzierung durch diese seit Jahren ausbleibenden Investitionsmittel der Länder und dem fehlgesteuerten DRG-Abrechnungssystem ausgesetzt.
Die tragende Säule der staatlichen Daseinsvorsorge, der gleichberechtigte Zugang aller zu medizinischer Versorgung, ist bedroht durch den Plan der Landesregierung, die Kranken- hausinfrastruktur in NRW radikal umzubauen.
Mit Datum vom 30. September 2019 erhielten alle Krankenhäuser in NRW ein Schreiben des Ministeriums (MAGS) mit dem Titel: „Antragsverfahren zur Gewährung von Fördermitteln aus dem Krankenhausstrukturfonds nach §§ 12a bis 14 KHG“.
„Fördermittel“ soll es unter anderem für freiwillige Schließung von Krankenhäusern und akutstationäre Versorgungskapazitäten geben. Dafür stünden jährlich bis zu 500 Millionen Euro aus dem Krankenhausstrukturfonds zur Verfügung. Anträge könnten vom 01.10. 2019 bis zum 03.03. 2020 gestellt werden. Fusionen, für die „Fördermittel“ beantragt werden können, stehen im Übrigen quer zum Kartellrecht. Bevorzugt werden daher freiwillige Schließungen.
Der 2017 umgesetzte Krankenhausplan NRW basiert auf dem ermittelten stationären Versorgungsbedarf. Demnach ist jedes regionale Krankenhaus Teil einer über viele Jahre gewachsenen Infrastruktur und wird nachweislich gebraucht. Der angeblich notwendige sogenannte „Paradigmenwechsel“ und „gesamtgesellschaftliche Transformationsprozess“ macht keinen Sinn. Im Gegenteil wurden mit Bezug darauf reihenweise völlig intakte Krankenhäuser aus wirtschaftlichen Gründen dichtgemacht, die unter anderem inzwischen auch als Ausbildungsstätten für Pflegeberufe fehlen (siehe Pflegekräftemangel).
Im Grundgesetz ist mit den für unabänderlich erklärten Artikeln für Einhaltung der Menschenrechte und demokratische Sozialstaatlichkeit ein Recht auf gleichberechtigten Zugang zum solidarisch durch die Sozialversicherung finanzierten Gesundheitssystem gegeben.
Finanzielle Defizite von Krankenhäusern mit mangelnder Qualität gleichzusetzen, wie im von Beraterfirmen verfassten Gutachten des NRW-Ministeriums unterstellt wird, ist Diffamierung. Insbesondere die im September 2019 vorgelegten Berechnungen und Handlungsempfehlungen für die Landesregierung legen den Schluss nahe, dass Ursache und Wirkung in diesem Gutachten verwechselt wurden.
Die Initiative „Regionale Krankenhausinfrastruktur erhalten“ fordert die Landesregierung auf, unabhängigen Sachverständigen einen Prüfauftrag zu erteilen.
Eine sorgfältige Analyse der gegenwärtigen Situation der Krankenhäuser in NRW wurde im Gutachten unterlassen. Stattdessen wurde eine Vielzahl von Annahmen aus der der Öffentlichkeit präsentierten Vision der Bertelsmann-Stiftung von einer „neuen Epoche der Krankenhausland-schaft in Deutschland“ ungeprüft übernommen.
Die vorgebrachte Argumentation, dass eine „Neugestaltung der Krankenhauslandschaft“ zu positiven wirtschaftlichen Erträgen der Krankenhausbetreiber bei gleichzeitiger qualitativer Verbesserung der stationären Gesundheitsversorgung für alle Bürger führt, ist wenig glaubwürdig und ebenfalls zu hinterfragen. Ersteres mag stimmen, Letzteres sicher nicht.
Ebenso bleibt die These, dass Fallaufkommen und Leistungen bis weit in die Zukunft planbar seien, unbewiesen. Behandlungsanlässe, Notfälle und Eingriffe, individuelle Verläufe und Situationen sind kaum vorhersehbar. Gleiches gilt für plötzliche Veränderungen des Gesundheitsstatus einer Bevölkerung in einer umschriebenen Region z.B. durch Unfälle, Katastrophen, Epidemien, etc. auf den sich der Versorgungsauftrag eines Krankenhauses in Deutschland wie auch nach KHGG NRW (Krankenhausgestaltungsgesetz) ebenfalls bezieht.
Aus diesem Anlass fordert die „Initiative Regionale Krankenhausinfrastruktur erhalten“ mit einem offenen Brief an die Landesregierung in NRW auf, eine erneute Untersuchung der Daten und Schlussfolgerungen des Gutachtens durch unabhängige Fachleute (Ärzte, Ärztinnen, Epidemio-logen und/oder andere Experten aus dem Bereich Öffentliche Gesundheit) in Auftrag zu geben.
Es soll unter anderem transparent gemacht werden, wie die verschiedenen Krankenhäuser – unterteilt nach Trägerformen (kommunal, kirchlich/freigemeinnützig oder privat) – DRG-Leistungsgruppen bei den Krankenkassen abrechnen und welche Erstattungen ihnen dafür zustehen würden. Damit soll zum einen ermittelt werden, ob es einen Zusammenhang zwischen abgerechneten lukrativen bzw. defizitären DRG-Leistungsgruppen und der Ertragssituation der Krankenhäuser nach Trägerform gibt. Zum anderen geht es darum, bei welchen Leistungsgruppen gegebenenfalls eine Überversorgung erkennbar ist und darum, den tatsächlichen Bedarf der Bevölkerung an medizinischer Versorgung darzustellen.
Wir bitten Sie, diese Initiative zu unterstützen und auf Ihrer kommenden Vorstandssitzung gegenüber Herrn Minister Laumann anzuregen, zunächst Finanzmittel des Strukturfonds NRW für die Erteilung des Prüfauftrags bereitzustellen und den Prüfauftrag unmittelbar auszuschreiben.
Mit freundlichen Grüßen
1 Der Tatbestand, dass bereits seit 2004 Fahrtkosten nicht mehr in allen notwendigen Fällen, sondern nur noch in wenigen Ausnahmen erstattet werden, einschließlich zur ambulanten Behandlung führt schon jetzt dazu, dass nicht mobile Versicherte von medizinisch notwendigen Behandlungen de facto jetzt schon ausgeschlossen werden.