Beitragsfoto: Steffen Prößdorf

Offener Brandbrief an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages

Gesundheitsminister Jens Spahn – ahnungslos oder verantwortungslos?

Anstatt die – wie sich jetzt angesichts der Corona-Virus-Ausbreitung in allen betroffenen Ländern zeigt – lebenswichtige regionale Krankenhausinfrastruktur zu schützen, wie er vorgibt, hat Gesundheitsminister Jens Spahn die Krankenhäuser in seinem am 23.03.2020 vom Bundeskabinett beschlossenen Covid-19-Krankenhausentlastungsgesetz dem Untergang preisgegeben. Der ihnen vorher zugesicherte Schutzschirm entfällt und damit werden diejenigen Krankenhäuser von Insolvenz bedroht, die ihrem gemeinnützigen Versorgungsauftrag nachkommen und Betten, Personal und Intensivkapazitäten für “Corona-Patienten“ vorhalten und auf weit höhere Einnahmen durch elektive (ausgewählte) Leistungen verzichten.

Jedes einzelne Krankenhaus in Deutschland ist nun- wie zuvor in Italien und anderswo- vor die Frage gestellt, ob es in wirtschaftliche Not gerät, wenn es Patienten mit Verdacht auf Corona-Virus-Infektion aufnimmt. Denn das DRG-System belohnt diese Behandlung nur, wenn die Erkrankten jung sind (unter 16 Jahren) oder lange beatmet werden müssen (Berechnungen dazu siehe folgende Seiten). DRG-Abrechnungssysteme nach Diagnosegruppen haben unbemerkt von der Bevölkerung eine Unterteilung in lukrative und nicht lukrative Behandlungen in der stationären Versorgung eingeführt. Dadurch werden besonders alte Menschen, gesundheitlich Geschwächte, und vielfach chronisch Kranke benachteiligt. Für die kommunalen oder frei-gemeinnützigen Krankenhäuser wurde es zunehmend schwerer, sich gegen die private Konkurrenz zu behaupten, die sich auf die Erbringung lukrativer Leistungen spezialisieren und damit Gewinne einfahren konnte, während die übrigen im DRG-System „defizitären Leistungen“ für die anderen Häuser übrig blieben.

Die Folgen können wir in Italien nun mit Grauen sehen: in der von der Corona-Virus-Ausbreitung schwer betroffenen Lombardei gibt es für 10 Millionen Menschen gerade noch 55 Krankenhäuser mit 803 Intensivbetten (8/100.000 Einwohner). Diese nur marktwirtschaftlich berechneten Kapazitäten reichen hinten und vorne nicht für Notfallsituationen wie der rasche Versorgungsanstieg bei einer Epidemie. Menschen sterben zu hunderten nicht wegen des Corona-Virus, sondern wegen des DRG-Systems, das zu Triage, Krankenhausschließungen, Bettenabbau und Privatisierung von Gesundheitsinfrastruktur in Italien geführt hat. Deutschland hat derzeit noch 1400 Krankenhäuser (2014 waren es noch 1600) und 24 Intensivbetten pro 100.000 Einwohner. Unsere stationäre Versorgungslage ist also aktuell noch deutlich besser als in Italien und Spanien.

Aber ein kommunales/frei-gemeinnütziges Krankenhaus, welches dazu verpflichtet ist, Corona-Fälle zu versorgen, wird durch die DRGs benachteiligt gegenüber einem Haus in privater Trägerschaft, das weiterhin elektive Operationen durchführt, die viel höhere Erlöse erbringen. Angesichts solch krasser Fehlsteuerung ist Solidarität mit den Krankenhäusern und damit eine Abschaffung des DRG-Systems oberstes Gebot, denn es gilt, das von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn mit seinem neuesten COVID-19 Gesetz bewusst einkalkulierte dramatische Krankenhaussterben zu verhindern.

Der medizinische und ethische Wahnsinn der DRGs am Beispiel der Corona-Virus-Infektion, berechnet anhand DRG-Webgrouper

Wird ein Mensch aufgrund von klinischen Symptomen einer Viruspneumonie (J 12.8, zusätzlich U 07.1g bei gesichertem Corona-Virus, Basisfallwert:  3.679,62€) stationär behandlungspflichtig, so ergeben sich bei verschiedenen persönlichen und medizinischen Begleitumständen folgende Berechnungen:

Fall A

80 jährige(r) Patient*in
3 Tage Krankenhausaufenthalt
keine Komplikationen

Entgelt: 2.490,25 €

Fall B

80 jährige(r) Patient*in
10 Tage Krankenhausaufenthalt
mit Begleiterkrankungen (Herzinsuffizienz, Exsikkose, Schlaganfall o.ä.)

Entgelt: 3.398,36 €

Fall C

80 jährige(r) Patient*in
10 Tage Krankenhausaufenthalt
mit Begleiterkrankungen (Herzinsuffizienz, Exsikkose, Schlaganfall o.ä., Beatmung auf Intensivstation 24 Stunden oder weniger als 24 Stunden)

Entgelt: 3.398,36 €

Fall D

80 jährige(r) Patient*in
10 Tage Krankenhausaufenthalt
mit Begleiterkrankungen (Herzinsuffizienz, Exsikkose, Schlaganfall o.ä., Beatmung auf Intensivstation 25 Stunden oder mehr, z.B. 72 Stunden)

Entgelt: 8.839,81 €

Fall E

80 jährige(r) Patient*in
10 Tage Krankenhausaufenthalt
mit Begleiterkrankungen (Herzinsuffizienz, Exsikkose, Schlaganfall o.ä., Beatmung auf Intensivstation 240 Stunden)

Entgelt: 12.633,65 €

Fall F

15 jährige(r) Patient*in
10 Tage Krankenhausaufenthalt
mit Begleiterkrankungen, die zur Beatmung auf Intensivstation für  240 Stunden führen)

Entgelt: 21.959,59 €

Fazit

Für die behandelnden Krankenhäuser ist es daher aus der Logik des DRG-Abrechnungssystems viel besser, wenn sie Patient*innen mit Konstellationen A-C möglicherweise nicht aufnehmen, weil sie sich nicht „rechnen“. Daher laufen viele der älteren Menschen mit Begleiterkrankungen bei einer COVID-19 Infektion Gefahr, gar nicht stationär versorgt zu werden bzw. erst dann, wenn sie beatmungspflichtig werden.
Wir erleben, wie die Corona-Versorgungskrise uns von interessierten Kreisen als Killer-Virus-Pandemie „verkauft“ wird. In Wirklichkeit aber wird eine durch die DRG-Systeme verursachte Versorgungskrise (siehe China, Italien und jetzt auch Spanien) vertuscht und durch drastische Einschränkungen der demokratischen Grundrechte „verzögert,“ bis der Virus von selbst verschwindet oder eilzugelassene Impfstoffe/Medikamente da sind. De facto erleben wir gerade, wie die Politik billigend in Kauf nimmt, dass durch soziale Isolation, z.T. Ausgehverbote, Schulschließungen etc. das DRG-System vor Kranken geschützt werden soll, die sich nicht rechnen.

Jetzt kommt es noch ärger

Jens Spahn hat entweder die Unverschämtheit oder die Ignoranz, mit seinem Covid-19 Entlastungsgesetz durch die Hintertür die vom Bertelsmann Medienimperium, Partner für Deutschland und sonstigen mit bevölkerungsbezogener Gesundheit und staatlicher Verantwortung für Daseinsvorsorge nicht sympathisierenden Ratgebern geforderte radikale Umstrukturierung der Krankenhauslandschaft in Deutschland über die Corona-Versorgungskrise umzusetzen.

Was erwarten die Bürger*innen vom Parlament in dieser dramatischen Situation?

1. Die seit langem unverschuldet in finanzielle Notlage geratenen Krankenhäuser durch staatliche Investitionen erhalten.

2. Das DRG-Abrechnungs-System nach Diagnosegruppen abschaffen – stattdessen Kosten nach tatsächlichem Versorgungsbedarf erstatten.

3. Gesundheitsökonomische Steuerung im Gesundheitssystem aufgeben, denn sie ist unethisch und steht im Widerspruch zur Rechtsstaatlichkeit und zum Grundgesetz. Sie verursacht Triage: Rationierung, Behandlungsungleichheit bis hin zu vermeidbaren Todesfällen – nicht allein bei Covid-19!